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Band 8

Mottel, Helmut
"Apoll envers terre"
Hölderlins mythopoetische Weltentwürfe

1998. 340 Seiten mit 40 Abbildungen – 155 x 225 mm. Kartoniert
ISBN 978-3-932004-85-8

 

44,00 EUR

Produkt-ID: 978-3-932004-85-8  

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Die nicht enden wollende Faszinationsgeschichte, die Hölderlins Texte bei ihren späten Lesern im 20. Jahrhundert bis heute ausgelöst haben, schreibt sich aus drei Quellgründen her: da ist auf der einen Seite die alle historizistischen Erwartungshorizonte transzendierende sprachliche und rhythmische Schönheit der Gebilde, da ist aber auf der anderen Seite das dunkle Lebensschicksal und damit verbunden die Modernität des Sprach- und Autorschaftkonzepts Hölderlins und da ist schließlich noch immer der Mangel an Kontextwissen und Lebenszeugnissen, über die wir im Falle Hölderlins verfügen.
Die anzuzeigende Arbeit partizipiert, wie es nicht anders sein kann, an allen drei Faszinationstopoi. Ihren Fokus findet sie aber in der Verknüpfung des zweiten mit dem dritten. Sie fragt nach der Schriftproduktion, wie sie sich im Nachlaß Hölderlins sedimentiert, als einem materiellen Akt kultureller Zeichenbildung, und verbindet diesen mit der spezifisch 'wissenschaftlichen' Konstruktion des Ästhetischen bei Hölderlin. Der Autor konzentriert sich - freilich nicht nur - auf die zwischen 1800 und 1806 im Umkreis des 'Homburger Foliohefts' entstandenen Gesänge und hymnischen Entwürfe, die bis heute als 'schwierige Texturen' aus zwei Gründen das entschiedenste Interesse der literaturwissenschaftlichen Forschung für sich beanspruchen. Kulturgeschichtlich reflektieren sie das neue Paradigma des Weltverhaltens und Welterkennens, das aus der wissenschaftlichen und politischen Revolution vor der Wende zum 19. Jahrhundert resultiert; in Hölderlins Lebensgeschichte ist es jener kritische Augenblick, der zwischen der rätselhaften Reise nach Bordeaux und dem sogenannten Ausbruch des Wahnsinns liegt - einer Erfahrens-, Orientierungs- und Verstörungskrise, die in den Texten in Form eines Ganges durch die Natur inszeniert wird und so Raumaneignung und Poesie in das prekärste Verhältnis setzen.
Der Grundgedanke des vorliegenden Buches besteht nun darin, den Zugang zu diesem Problemfeld zwischen Schreiben und Landschaft von zwei Seiten her zu suchen: von den Schriftarchipelen und ihrer labyrinthischen Verfassung, wie sie sich in Hölderlins Manuskripten dokumentiert, einerseits; von den wissenschaftlichen Bemühungen des beginnenden 19. Jahrhunderts, das Territorium der Welt zu erkunden, zu entdecken, zu kartographieren, andererseits. Die Analyse des ersten Zusammenhangs wird durch den u.a. von dem französischen Philosophen Gilles Deleuze für die Beschreibung komplexer Zeichenstrukturen entwickelten Begriff des 'Rhizoms', vorangetrieben, das zweite Problem beschreibt der Autor mit dem Begriffsinventar des u.a. in der Kartensemiotik und künstlichen Intelligenzforschung entwickelten Konzepts des 'cognitive mapping'. Damit ist der methodische Aufriß des Problems charakterisiert, auf dessen Entwicklung Helmut Mottel in seinem Buch abzielt. Es ist letztlich die Frage nach dem Stellenwert des Projekts der Moderne in Hölderlins Schreiben: als die Durchsetzung des Wahrnehmungsparadigmas der Aufklärung und die an dieses gekoppelte Konstruktion eines neuen Mimesiskonzepts aus dem "Geist der erkannten Naturkräfte", das in unauflösliche Spannung zu mythisch und historisch modellierten Wahrnehmungsmustern der europäischen literarischen Tradition tritt. Helmut Mottel geht dieser Bruchlinie, diesem Konflikt zwischen wissenschaftlicher Realitätskonstruktion und ästhetischem Mimesiskonzept, zwischen 'Kartographie' und 'Rhizom' im Schreibakt selbst nach. Auf diese Weise wird das in diesen Textgeflechten nistende Kulturmuster sichtbar: Textlandschaft und naturwissenschaftlich codierte Realtopographie erzeugen durch ihr Zusammenspiel in Hölderlins generativer Poetik eine "mythopoetische Landkarte", die in der Art eines poetischen Raumrepräsentanten oder Datenspeichers das Weltwissen um 1800 auf einzigartige Weise literarisch transfiguriert.